Livereview: Pretty Maids - Crystal Ball

21. Februar 2017, Zürich – Dynamo (Saal)
By Tinu (tin) & Rockslave (rsl) - Pics By Rockslave
Mein letzter Besuch im Dynamo ist schon eine ganze Weile her, und in dieser Zeit wurde offensichtlich der komplette Innen-Umbau durchgeführt. Dessen war ich mir gar nicht bewusst, und so hatte ich zunächst, oben im Saal angekommen, zuerst mal leichte Orientierungsschwierigkeiten. Der Grund dafür ist der neue Ort der Bühne, die vom ehemaligen Standort linkerhand nun um 90 Grad in Laufrichtung aus Sicht des Eingangs verschoben wurde. Dazu wurde noch eine Galerie angebracht, die, einfach etwas kleiner, der vom Komplex 457 ähnelt. Soweit so gut, und wie sich nachher heraus stellte, waren heute Abend ziemlich viele Besucher das erste Mal überhaupt (!) im Dynamo. An diesem gewöhnlichen Dienstag sah der Saal erstaunlich gut gefüllt aus, und das dürften schätzungsweise gegen 500 Fans gewesen sein. Vor dieser erfreulichen Kulisse rockten zuerst Crystal Ball, die nun nach dem Sängerwechsel (Steve Mageney ersetzte Mark Sweeney) und den letzten drei wirklich guten Studioalben der Neuzeit definitiv wieder Blut geleckt haben. Der Headliner aus dem hohen Norden zeigte danach aber eindrücklich, was den berühmten Unterschied des Erfolges ausmacht. (rsl)

Crystal Ball
Jüngere Fans der Schweizer Hardrocker, die sich (noch) nicht mit deren Bandgeschichte befasst haben, die bis 1999 zurück reicht, werden die Truppe womöglich erst ab 2013 wahr genommen haben. Vor vier Jahren stellten nämlich Gitarrist Scott Leach und Drummer Marcel Sardella als einzig verbliebene Ur-Member ihr Baby namens Crystal Ball auf einen frischen Sockel. Die gewichtigste Veränderung war der Posten des Frontmannes. Auf Mark Sweeney folgte Steven Mageney und mit ihm veränderte sich auch der Sound hin zu etwas härteren Gefilden. Die Keyboards, die früher von Tom Graber bedient wurden, sind zwar immer noch vorhanden, werden live jedoch ab Band eingespielt. Mit der Hinzunahme eines zweiten Gitarristen (aktuell Tony Castell als Nachfolger von Markus Flury) lastet die Saitenarbeit nicht nur auf den Schultern von Scott und ermöglicht so einen erweiterten Guitar-Sound. Diese „neue Härte“ steht dem Fünfer gut zu Gesicht, und spätestens aber dem letztjährigen neuen Dreher «Déjà-Voodoo» ist an dieser Ecke spürbar mehr Zug auszumachen. Dieser neue Schwung begleitet die kürzlich abgeschlossene Tour, die zusammen mit Shakra bestritten wurde. Der heutige Support für Pretty Maids bedeutete ein Wiedersehen auf der Bühne nach nicht weniger als sechzehn Jahren! Entsprechend motiviert gingen Crystal Ball ans Werk, und es dauerte nicht lange, bis der gut gefüllte Saal des Dynamo in eine gute Stimmung versetzt werden konnte. Steven Mageney ist längst in seiner Rolle als überzeugender Fronter aufgegangen und lenkte das Geschehen ohne Mühe. Die heute Abend gespielten Songs stammten bis auf den alten Smasher «Hellvetia» ausnahmslos von den letzten drei Alben. Die Auswahl ging soweit in Ordnung, aber für meinen persönlichen Geschmack fehlten von der neuen Scheibe «To Freedom And Progress» sowie «Time And Tide», und von einigen älteren Perlen sprechen wir jetzt gar nicht. Unter dem Strich war der Auftritt sehr solide, auch wenn es manchmal etwas an durchdringender Durchschlagskraft mangelt. So, wie das zum Beispielweise Eclipse oder H.E.A.T drauf haben. Crystal Ball 2.0 sind jedoch grundsätzlich auf dem richtigen Weg und müssen nun beweisen, ob sie in Zukunft noch einen Gang höher schalten können. Am Willen scheint es auf jeden Fall nicht zu mangeln, und der erfreuliche Zuspruch des Zürcher Publikums dürfte die Ambitionen weiterhin beflügeln. (rsl)

Setliste: «Intro» - «Director's Cut» - «Dr. Hell No» - «Suspended» - «Hold Your Flag» - «Back For Good» - «Paradise» - «Hellvetia» - «Déjà Voodoo» - «Anyone Can Be A Hero».

Pretty Maids
Auch wenn Crystal Ball ein gutes Set ablieferten, was danach bei Pretty Maids losgetreten wurde, war eine andere Liga. Die Konstellation Pretty Maids/Crystal Ball war schon im Jahre 2000 zusammen auf Tour. Damals war das aktuelle Album der Dänen «Carpe Diem», aus dem an diesem 21. Februar 2017 kein einziger Song mehr gespielt wurde. Leider, denn dieses Werk beinhaltet immerhin solche Göttergaben wie «Tortured Spirits», «Clay» oder «Wouldn't Miss You». Das ist einfach das grosse Problem, welches sich bei Pretty Maids in den letzten 36 Jahren aufgebaut hat. Auf jedem der fünfzehn Studioalben hat es genügend Hits, die in das Set gehören. So blieb die Setliste ohne grosse Überraschungen, ausser das «Red, Hot And Heavy» schon als dritter Track gespielt wurde und nicht, wie sonst, erst im Zugabenteil für Furore sorgte. Es ist ein Jammern auf sehr hohem Level, aber als Fan der ersten Stunde vermisst man immer wieder den einen oder anderen Lieblingssong («Lethal Heroes», «Rock The House», «Loud'n Proud», «Attention», «Running Out», «Wake Up To The Real World», «Another Shot Of Your Love», «Dead Or Alive», «Destination Paradies» oder «Back Off»). So konzentrierten sich die Herren Ronnie Atkins (Gesang), Ken Hammer (Gitarre), Rene Shades (Bass), Allan Tschicaja (Drums) und Neu-Keyboarder Chris Laney auf das neue Album «Kingmaker» und die erfolgreichste Scheibe «Future World», aus denen jeweils fünf, respektive vier Lieder gespielt wurden. Von der ersten Sekunde herrschte im Dynamo eine ausgelassene Partystimmung, auf der sich die Band und ihre Fans von Song zu Song mehr anstachelten. Ronnie erwähnte immer wieder das neue Album «Kingmaker», liess das Publikum den Titel laut heraus schreien und freute sich mit einem diebischen Grinsen ob der Reaktion. Es war auch der Sänger, der erneut mit seiner unnachahmlichen Gestik und Mimik den Tracks seinen Stempel aufdrückte. Keiner durchlebt die Songs mit so viel Hingabe oder Schmerz wie er. Auch wenn Mister Atkins gesanglich nicht mehr jede Note so trifft wie auf den Studioalben, bot er eine verdammte starke Show. Er genoss den grossen Applaus und fragte zurecht, wieso es seit 1990 keine Show der dänischen Truppe mehr in Zürich gab («It's a fucking long time, since we played in Zurich»). In Form von Allan hat die Truppe ein Tier eines Trommlers in den eigenen Reihen. Es war unglaublich, mit welcher Energie er auf sein Arbeitsgerät einschlug und die Show dabei mit einem breiten Grinsen genoss. Unter seinen Schlägen erzitterte nicht nur das Drum, sondern es vibrierte und schien förmlich vom Drumriser runter zu fallen. Ken scheint sich von Konzertreise zu Konzertreise noch ein bisschen mehr Masse anzufuttern. Trotzdem bolzte er gottesgleiche Riffs («Red, Hot And Heavy») ins Dynamo und solierte («Back To Back») mit einer unglaublichen Sicherheit. Dass dabei auch mal ein Solo schief etwas klingt («Please Don't Leave Me») sei dem Gitarristen verziehen, gehören solche Momente doch einfach zu einer LIVE-Show!

«Danke schön und guten Abend», begrüsste Ronnie die Fans in akzentfreiem Hochdeutsch. «It's wonderful to be here! We love you Zurich, you‘re fantastic!» grinste Ronnie zufrieden ins Publikum und wischte sich die dicken Schweissperlen von der Stirne. Es war ja nicht so, dass der Fünfer den Erfolg einfach genoss, nein sie ackerten auch hart dafür! Mister Atkins hat sich in den letzten Jahren auch als einer der unterhaltsamten Shouter geoutet: «…we're touring with another swedish band called Gotthard», lächelte Ronnie ins Publikum und erwähnte, dass Pretty Maids momentan eigentlich als Support für Gotthard unterwegs sind, aber die Day Offs für eigene Headliner-Gigs nutzten. Ronnie sprach viel mit dem Publikum, und die Ansagen hatten alle was Natürliches, was Ehrliches und nicht Einstudiertes. Und diese sympathische Art übertrug sich auch auf die Band, als sie locker einen Swing-Part vor «Savage Heart» spielte oder vor dem letzten Song noch «Black Night» von Deep Purple zum Besten gab. «Savage Heart» wurde zuerst nur mit Keyboard und Gesang vorgetragen und war neben «Please Don't Leave Me» auch die einzige ruhige Nummer. Ansonsten wurde gerockt und aus allen Rohren geschossen. Was dem Sound auch gut tat, war die zweite Gitarre, welche sich Chris immer wieder umhängte. Speziell bei den älteren Liedern klang dies verdammt gut, zumal diese damals auch für zwei Gitarren geschrieben wurden. Ob es bei diesem üppigen Backkatalog neben der John Sykes-Nummer «Please Don't Leave Me» auch noch den Ausflug zu Pink Floyds «Another Brick In The Wall» brauchte, muss, wie immer, jeder selber entscheiden. Der Show tat es dies jedoch keinen Abbruch, und somit ging diese Kurzfassung des Floyd-Klassikers voll auf. Sympathisch war Ken, der nicht nur unzählige Plektren verteilte und damit seinen Techniker an den Rand der Verzweiflung brachte, weil dieser immer wieder den Mikrofonständer mit neuen Gitarrenplektren bestücken musste, sondern auch, weil er bei «I.N.V.U.» einige Mineralwasserflaschen ins Publikum spedierte.

Es war mittlerweile verdammt heiss geworden im Dynamo. Was immer Pretty Maids auch spielten, waren es neuer Stücke wie «Mother Of All Lies» oder speziell «Heavens Little Devil», älteres Material wie «Pandemonium» plus «Little Drops Of Heaven» (Hammer!) oder Klassiker wie «Rodeo», «Back To Back», «Yellow Rain» (HAMMER!) oder die erste Zugabe «Future World»…, die Band kickte Ass ohne Verschnaufpause. Bei «Future World» wurde das Publikum, wie bei einigen anderen Songs auch, durch einem Mitsingpart in die Show miteinbezogen. Der Besucherchor war laut wie textsicher, und zur Unterstützung wurde bis in die hintersten Reihen mitgeklatscht. Das Foto für Instagram musste logischerweise ebenfalls noch geschossen werden, bevor Ronnie und seine Mannschaft mit «Love Games» ein fantastisches Set abschlossen. «In Zürich, das ist deutsche Region? Alles klar», ja es war alles bestens, und ich gehe sogar soweit, dass ich diesen Gig auf die gleiche Stufe stelle, wie damals der Openerauftritt beim «Monsters Of Rock 1987», als die Herren noch in der Blüte der Jugend standen und mit dem gerade erschienenen Meisterwerk «Future World» die Bühne rockten und von diesem Moment an zu den ganz Grossen gezählt wurden. Knapp dreissig Jahre später präsentierte sich die Truppe gereifter, aber noch lange nicht gezähmter. Da am gleichen Abend zudem durchsickerte, dass Pretty Maids das Brienzer Rockfestival im August headlinen werden, war dieser Auftritt beste Werbung in eigener Sache. Der Fünfer kam, sah und hinterliess eine völlig begeisterte Schar. Auch wenn man den Herren Atkins und Hammer die Lebenserfahrungen aus dem Musikbusiness deutlich ansieht, strotzen sie unablässig vor Energie und besitzen nach wie vor den unbändigen Willen, noch heute jede Bühne dem Erdboden gleich zu machen. Nach dem Freedom Call-Gig war dies ein weiterer Höhepunkt im Konzertjahr 2017. Ich bin gespannt, ob Gotthard und Krokus da beim nächsten grossen Konzert mithalten können! (tin)

Setliste: «Intro» - «Kingmaker» - «When God Take A Day Off» - «Red, Hot And Heavy» - «Face The World» - «Mother Of All Lies» - «Heavens Little Devil» - «Yellow Rain» - «Rodeo» - «Bull's Eye» - «Savage Heart» - «Pandemonium» - «Another Brick In The Wall (Short)» - «I.N.V.U.» - «Please Don't Leave Me» - «Fortuna Imperatrix Mundi (Intro)» - «Back To Back» -- «Future World» - «Little Drops Of Heaven» - «Love Games».