Livereview: Raven - Sin Starlett
05. August 2010, Uster – Rock City
By Tinu
Die athletischen Metal-Veteranen im Rock City. Was ich mir schwer vorstellen konnte, da die Briten bekannt dafür sind, dass sogar die grösste Bühne für ihre Performance noch zu klein ist, entpuppte sich als (fast) kein Hindernis für einen der Show-Schwerpunkte der Newcastler. Das Trio gab alles, besonders Gitarrist Mark Gallagher tropfte der Schweiss nach wenigen Sekunden literweise vom Körper. Sie verwandelten das Rock City in einen Club der früher achtziger Jahre.

So muss man sich die Anfänge der «new wave of british Heavy Metal» vorstellen. In einem kleinen Club, den man über eine Treppe erreicht, tummeln sich ein paar Hartgesottene, die eingekleidet in Leder, Jeans und vielen Aufnähern ihrer Lieblinge, das kommende Ereignis kaum erwarten können. Das Bier fliesst und die Fachgespräche laufen auf Hochtouren. Jeder scheint jeden zu kennen und alle berichten von ihren neuen Errungenschaften und den kommenden «In»-Bands. Was sich vielleicht in den letzten 30 Jahren geändert hat, dass Raven nicht mehr zu den künftigen Superstars zählen, sondern schon als alte Helden abgefeiert werden.

Sin Starlett
Den Start gebührt dann Sin Starlett. Eine Retro-Truppe, wie sie im Buche steht. Sie wurde von Sänger Elias und Gitarrist Reno in Luzern gegründet und zeigt mit Stolz geschwellter Brust, welches ihre Bands sind. Ob da nun Riot oder Diamond Head mit fetten Buchstaben auf den Shirts steht, eine Judas-Priest-Gürtelschnalle oder eine gestreifte Steve-Harris-Gedächtnishose zu sehen ist, es wird schnell klar, dass die Jungs mit jedem Knochen, jedem Blutstropfen und jeder Gestik den wahren Metal verteidigen wollen. Auch musikalisch wird dies schnell dokumentiert, nämlich dann wenn die doppelläufigen Soli sich den Weg zu den Anwesenden bahnen. Mit den markanten Schreien von Elias wird dieser Zeitreise nachhaltig der Stempel aufgedrückt. Man sieht dem Quintett an, dass sie lieben, was sie da aus den Boxen zaubern und zusammen mit den wirklich guten Songs, kommen Sin Starlett auch bestens beim Publikum an. Aus den Kompositionen ragt «Black Magic Sky» heraus. Ein Lied, das ruhig startet und dann mit galoppierendem Basslauf in einen fetten Bang-Track übergeht. Durch die Tempowechsel wird dieser Song auch nie langweilig, sondern bleibt immer spannend und interessant. Tja, es hat mich in den letzten Jahren selten eine helvetische Truppe überzeugt. Sin Starlett ist es gelungen!

Raven
Dann liessen die Gallagher-Brüder und Joe Hasselvader alle Dämme brechen. Mit dem Eröffnungstrio «Take Control», «Live At The Inferno» und «All For One» markierten die Herren schon mal ihre Duftnote ins Rock City. Die Haare der Fans flogen im Takt, die Bierdose musste als Ersatzgitarrenhals herhalten und wer früh genug am Bühnenrand stand, konnte seinen Stinksocken noch auf die Monitorboxen stellen. Bangerherz, was willst du mehr? Die Stimmung war von Beginn weg auf dem Siedepunkt, auch wenn sich nur ganz Wenige an dieses Konzert verirrt hatten. Aber die machten Lärm für eine 10’000er Halle. Und Raven selber? Das Szenario auf der Bühne glich einem viel zu kleinen Käfig, in dem wilde, hungrige und unruhige Tiere eingesperrt waren. Sie haben absolut nichts verlernt. Da sitzt jede (Gallagher-)Pose (einzeln oder zu zweit) und die knochenzersplitternden Schreie von John gehören noch immer zu den markantesten, die es im Metal-Bereich zu hören gibt. Dank dem kabellosen Mikrofon von John, das wie bei einer Telefonistin um seinen Kopf hing, war auch sein Bewegungsradius nicht eingeschränkt. Ebenso wenig wie der seines Bruders Mark, der stetig in Bewegung war. Hinten in der Mitte sass Joe, der alles in Grund und Boden holzte und mit jedem seiner Schläge ein kleines Erdbeben auslöste. Tja, das Trio war agil und kämpfte um jeden Besucher. Das Publikum konnten sie eh schon nach den ersten Takten dirigieren, wie sie wollten. So sangen die Entzückten lauthals bei «All For One» oder «Rock Until You Drop» mit, was ab und zu schon fast in Massenhysterie ausartete. Auch die Songs des neuen Werks «Walk Through Fire», namentlich «Breaking You Down» und «Long Days Journey», passten gut in die Setliste und wurden mit der gleichen Euphorie aufgenommen, wie die alten Klassiker dieses Hitpotpuri. Es war ganz einfach eine fantastische Vorstellung der Engländer, vor denen ich meinen Hut ziehe und grosse Achtung habe. Als bei der Zugabe «Break The Chain» auch der legendäre rote Bass zu Einsatz kam, war endgültig alles so, wie es sein musste. Dummerweise quittierte das Instrument seinen Dienst, als wie gewohnt noch alte Klassiker angespielt wurden. Selbst ist der Mann, stöpselte John seinen Bass um und der Set konnte zu Ende gespielt werden.


Es war nicht nur die markante Nase und das Hammerteil von Zunge des Gitarristen, die dieses Konzert so einzigartig machten. Sondern eine Truppe, die nach all den Jahren noch immer genug Feuer im Hintern hat und sich selbigen für die Besucher aufreisst. Auch wenn die Band niemals Mainstream sein wird, sie hat Musikgeschichte geschrieben, selbige geprägt und inspiriert. Dafür gebührt dem Trio ein grosser Dank und die entsprechende Würdigung. Alleine aus diesen Gründen müssen das nächste Mal noch mehr Freunde des Metals den Weg zu Raven finden, denn enttäuscht haben die Jungs auf der Bühne noch nie!



Setliste Raven: «Take Control» - «Live At The Inferno» - «All For One» - «Breaking You Down» - «Lambs To The Slaughter» - «Rock Until You Drop» - «Guitar Solo Mark Gallagher» - «Speed Of The Reflex/Run Silent Run Deep/Mind Over Metal» - «Long Days Journey» - «Architect Of Fear» - «Faster Than The Speed Of Light» - «On And On» - «Don’t Need Your Money» - «Bass Solo John Gallagher» - «Break The Chain»