Livereview: Schandmaul

21. November 2015, Kofmehl - Solothurn
By Roger W
Es ist jedes Mal eine Fest und eine Ehre, die deutschen Folk-Rocker Schandmaul Live erleben zu können. Neben den tollen, teils arg an der Grenze zum Kitsch gesungenen Lieder, ist es vor allem die Menschlichkeit und die Stimmung zwischen den sechs Musikern, welche jeden Auftritt der Deutschen zu etwas Besonderem machen. Auf der aktuellen Akustik-Tour kommen gleich noch zwei weitere Faktoren dazu: Die Band stellte mit Schandmäulchen gleich sich selbst als Vorgruppe. Und als Hauptband erklangen ihre Lieder wie vorgängig auf ihrer Webseite angekündigt akustisch. Wo der Unterschied zwischen den Original-Versionen und den abgespeckten ist, merkte ich erst gegen Schluss. Das sonst sehr ruhige „Dein Anblick“ avancierte im neuen Set zu einem der härtesten Liedern. Das führte nach dem Konzert zur spannenden Selbsterkenntnis eines Rockers/Metallers: Die ruhigeren Versionen klingen zwar toll, auf die Dauer eines ganzen Konzertes ist mir das normale Set aber lieber, da dann noch mehr Dynamik vorhanden ist.

Schandmäulchen

Im letzten Metal Factory-Interview mit Schandmaul-Sänger Thomas Lindner, liess dieser verlauten, dass Schandmaul eine Kinder-CD aufnehmen werden. Unter dem Namen „Schandmäulchens Abendteuer“ erschien dann im Oktober 2014 ein liebevoll gestaltete Buch mit beigefügter Musik-CD. Und genau dieses Abendteuer erzählten und bespielten Schandmaul als ihre eigene Vorgruppe. Dazu wurden für jeden Musiker je ein Barhocker und ein Kinderstuhl am Rand der Bühne aufgestellt. Auf den Kinderstühlen sassen Handpuppen, mit welchen die Geschichte in leicht abgeänderter Form inszeniert wurde. Sänger Thomas Linder trat als Sprecher auf, während die anderen Schandmäuler jeweils in ein bis zwei Rollen schlüpften. Dabei fiel auf, dass sämtliche Musiker auch hervorragende Sprecher sind. Diese reagierten auch sympathisch auf Pannen wie verstimmte Gitarren oder verzasperte Texte und verpasste Einsätze. Spannend für die Erwachsenen blieb die Geschichte aber auch, weil sich die Musiker immer wieder anfeixten. Zur Auflockerung spielten Schandmäulchen zwischen den Texten ihre Kinderlieder, welche sehr nahe am üblichen Schandmaul-Repertoire klingen. Der tosende Applaus am Schluss galt schliesslich nicht nur Figuren wie Bert das Pferd (hervorragend gespielt von Gitarrist Martin Duckstein), sondern der gesamten Band. Die Erwachsenen wurden hervorragend eingestimmt. Und trotzdem hatte ich das Gefühl, dass bei einem Kinderpublikum noch mehr drin gewesen wäre. Dieses wäre ob der tollen Darbietung schlicht weggeschmolzen und in eine Anderswelt versunken.


Schandmaul
Gleiche Bühne, mehr Platz, viele Kerzenständer und andere Bühnenkleider. So präsentierten sich Schandmaul nach einer halbstündigen Pause als eigentliche Hauptband. Schandmaul hatten sich besonders herausgeputzt, wobei Sänger Thomas Lindner im Bandraum die passenden Schuhe vergessen hatte. Dies bedauerte er bei einer Ansage und wies auf seine blauen Turnschuhe zum schwarzen Umhang hin. Auch sonst schien er im ersten Teil des Sets ein wenig verwirrt zu sein. So spielte er ein Lied in der falschen Tonlage an und verpatze einige Einsätze. „Die Narrenkappe geht heute eindeutig an Thomas“, stichelte Flötistin Birgit Muggenthaler-Schmack liebevoll. „Ihr müsst halt flexibler sein“, gab Thomas Lindner zurück und verlor dieses Duell mit einem „Flexibel ist der kleine Bruder von Scheisse“. Das Kopfmehl nahm dies aber gelassen und freute sich umso mehr über die Tatsache, dass bei Schandmaul wirklich alles Live erklingt. Zumal die Patzer auch nicht wirklich dominierten. Vielmehr werden sie die Besucher an Lieder wie „Herren der Winde“ (zum Start), „Drachentöter“, „Auf hoher See“ oder „Die goldene Kette“ erinnern. Diese klangen auch im akustischen Gewand druckvoll. Der eingangs beschriebene Eindruck der weniger starken Dynamik wurde mir erst nach dem Konzert bewusst. Besonders schön waren auch die Ansagen zu den Liedern. Zu „Sonnenstrahl“ erzählte Thomas Linder wie es ist, wenn an einem schönen Tag das eigene Kind strahlend in die Arme rennt und den Papa liebevoll umarmt. „Uns fehlt bisher noch ein Lied zum Schwängern“, stimmte Lindner in einer ganz anderen Manier nach „Walpurgisnacht“ auf „Dein Anblick“ ein. Aber wer will bei diesem Lied über wahre Sehnsucht schon ans Ficken denken. Zumal die obligatorischen Publikumschöre am Schluss für Gänsehaut sorgten. In eine ähnliche Richtung ging die zweite Zugabe „Euch zum Geleit“. Dieses handelt von einer verstorbenen Person, welche in einem letzten Brief die Trauergemeinde aufruft, sich an die schönen Momente mit ihr zu erinnern. „Prinzessin“ war anschliessend nach über zwei Stunden Spielzeit das letzte Lied und entliess das Publikum in die erste verschneite Winternacht mit der Gewissheit, dass man neben aller Fröhlichkeit auch mit ernsten Themen unterhalten wurde. Danke Schandmaul, danke Schandmäulchen und gerne auf ein nächstes Mal!