Livereview: Steven Wilson

20. September 2015, Zürich - Komplex 457
By Natalia N.
Steven Wilson gab schon das vierte Solo-Album, das viele Kritiker nämlich für das Album des Jahres halten, heraus. Wie dem auch sein mag, wird jede Aufnahme des Ex-Mitgliedes von Porcupine Tree zum Grossereignis, und Musikschwärmer verspüren einen Drang für Gastspielreisen, die als Unterstützung des Albums gedacht sind. Die Reise für den Support von „Hand. Cannot. Erase.“ begann Anfang März und Ende September erreichten Steven & Co. endlich die Schweiz. Ich muss gleich vorweg nehmen, dass das Haus ausverkauft war und Steven ein paar Überraschungen für die Zuhörer vorbereitet hatte. Aber alles der Reihe nach...

Das Konzert begann um zehn nach acht abends mit der Vorführung von Videostücken zu einem Drone-Intro. Während dem Demonstrieren von schwarzen Figuren nahm Drummer Craig Blundell zuerst seinen Platz hinter dem Schlagzeug ein, danach folgten Bassist- und Stickplayer Nick Beggs, Keyboarder Adam Holzman, Gitarrist Dave Kilminster und endlich auch Steven selbst, barfuss und mit der E-Gitarre in der Hand. Danach versank der ganze Zuschauerraum in die Atmosphäre der wahren Kunst. Freude an der Teilnahme an dieser Kunst konnte nichts trüben: Weder die Tonaufnahme der weiblichen Parts, die das allerneuste Album von Wilson "Hand. Cannot. Erase." so gut schmückten, noch die Abwesenheit des Blasmusikers, dessen Flöte, Klarinette und Saxophon beim neuen und auch bei früheren Alben von Steven Wilson so unersetzlich schienen.

Die Showkonzeption wurde dem Album "Hand. Cannot. Erase" gewidmet. Wilson und seine Band spielten den Grossteil der Lieder von neuem Album. Aber Steven kehrte in gewissem Masse in die Zeiten von Porcupine Tree zurück, denn man spielte vier Lieder aus der Ex-Band von Steven. Dabei sah es so aus, dass man diese Lieder mit Absicht auf die Setliste beigefügt hatte, um „die Konzeption zu betonen“: so z.B. nach dem düsteren “Index” war es noch besser, das neueste Lied “Home Invasion” mit ähnlicher Stimmung wahrzunehmen.

Die Bühnenwirksamkeit der Musik verstärkte man durch optische Elemente – Videos wechselte man mit Lichtmusik ab. Steven beschloss, Videos von Regisseur Jess Cope, die speziell für Kompositionen aus vorherigem Albums „Drive Home“ und „The Raven That Refused To Sing“ aufgenommen waren, zu zeigen. Aber man zeigte auch Videos zu den neuen Liedern. Zum Beispiel das neue Video zum Song "Routine", in dem eine völlig erschöpfte Frau ständig aufräumte, Geschirr abwusch und reparierte. Vor diesem Lied erklärte Steven, dass das Lied alldem, woraus unser Leben bestand, gewidmet war. Vom Schicksal der unglücklichen Hausfrau wechselte man auf das Sujet über Menschen-Puppen aus der Komposition Index (Remix „From Grace For Drowning“). Es schien so, dass Steven beschloss, sich ein bisschen von der Hauptheldin des Albums, Joyce Carol Vincent, und ihrer traurigen Geschichte zu erholen. Nämlich ausgerechnet in der schweizerischen Show wich Steven von seinem gewöhnlichen Szenarium ab und zeigte nicht die Videos über das Leben der unglücklichen Joyce, deren Leiche erst nach 3 Jahren nach ihrem Tod in ihrer Wohnung in London gefunden wurde. Die Kulmination des Auftritts war der Moment, als der weisse, durchsichtige Vorhang von der Decke zu Boden fiel. Es geschah vor “Sleep Together”, und die Musiker blieben wie im dichten Nebel und in einer anderen Welt. Während dieses anstrengenden Liedes versuchte Steven immer wieder, diesen durchsichtigen Vorhang durchzufechten. Mit dem Verschwinden des Vorhangs war auch der Auftritt zu Ende, und die Musiker verliessen die Szene unter dem Beifall. Aber danach rief man „da capo“.

Konzerte von Steven Wilson sind so erfolgreich nicht nur dank dem guten Stoff und der aus der Sicht des Regisseurs ideal durchgedachten Show, sondern auch dank der Fähigkeit von Steven, hochtalentierte Musiker zu sich zu ziehen und jedem von ihnen den Ehrenplatz in der Band zu vergeben. Es ist schon seltsam, wenn der Bandleader seine Kollegen nicht in den Schatten stellt. Aber Steven versuchte es doch und stellte alle Musiker so auffällig er konnte vor. Am Anfang des Auftrittes vor jedem Lied sagte er ein paar gute Worte über jedes Gruppenmitglied. Und seine Kollegen dienten ihm mit gleicher Münze, in dem sie aus dem Vollen schöpften! Ab und zu schien es mir, dass Nick Beggs Steven im Singen übertraf und Dave Kilminster beim Gitarrespielen. Aber dieser Eindruck war natürlich täuschend, denn die Band sah unteilbar und harmonisch aus. Es schien mir auch, dass sich Steven mit den Zuschauern in der Schweiz ungewöhnlich lange unterhielt. Vor einem Lied teilte er sogar mit, dass er möchte, dass man den Sinn jedes Liedes versteht und weiss, worum es geht.

Setliste: „No Twilight Within The Courts Of The Sun“; „Drive Home“; „Hand. Cannot. Erase“; „Routine“; „Don't Hate Me“; „Shesmovedon“; „Index“; „Home Invasion“; „My Book Of Regrets“; „Ancestral“; „Happy Returns“; „Ascendant Here On...; „Sectarian“; „Sleep Together“
Encore: „The Sound Of Muzak“; „The Raven That Refused To Sing“