Livereview: The Night Flight Orchestra

18. Dezember 2017, Zürich - Werk 21 (Dynamo)
By Rockslave
Wann genau ich über The Night Flight Orchestra im Facebook und danach im Youtube gestolpert bin, weiss ich nicht mehr so genau, aber es dürfte relativ nahe um den Release des dritten Albums «Amber Galactic» am 19. Mai 2017 herum gewesen sein. Was da an mein Ohr drang, konnte ich kaum glauben, und dies, obwohl der bewusst auf die 80er-Jahre getrimmte Classic Rock Sound umgehend an Asia, Deep Purple, Toto, Foreigner und sogar einmal an ABBA erinnerte. Das alleine muss allerdings nichts heissen, haben viele andere Bands mit meist bescheidenem Erfolg auch gemacht, aber hier war von Anfang an das gewisse Etwas mit im Spiel, was zu einem guten Teil der Besetzung geschuldet ist. Mit Björn Strid (Vocals), Sebastian Forslund (Guitar), Sharlee D' Angelo (Bass), David Andersson (Guitar), Richard Larsson (Keyboards) und Jonas Källsbäck (Drums) haben sich Musiker zusammen gefunden, die sonst bei Bands wie Soilwork, Arch Enemy oder Mean Streak für mehrheitlich anderen „Lärm“ besorgt sind. Zehn Jahre nach der ersten Schnapsidee treffen The Night Flight Orchestra den Genre-Nerv der Zeit wie kaum eine andere Combo und spielten so erstmals in der Schweiz auf!

The Night Flight Orchestra
Man muss sich das zuerst mal vorstellen…, da kommt also eine Truppe im Rahmen einer Mini-Tour angereist, bestehend aus sechs Musikern und zwei Background-Sängerinnen. In diesem Line-Up zum ersten Mal in Helvetien. Auftrittsort war das Werk 21 in Zürich, wo maximal etwa 200 plus noch ein paar Zerquetschte rein passen. Vor zwölf Jahren waren es beim legendären Gig von Candlemass ja gegen 250 gewesen, aber das ist eine andere Geschichte. Heute Abend standen also total acht Leute auf der kleinen Bühne in der Gruft unten und zelebrierten Classic Rock mit Pop-Sprengseln der goldenen 80er-Jahre. Das heisst mitunter, dass dem Keyboard-, respektive Synthie-Einsatz eine zentrale Bedeutung zukommt. Und sowas soll dann „da unten“ auch noch differenziert klingen?! Eigentlich kaum bis gar nicht möglich in dieser Location, doch denkste! Ohne den Namen des Mischers zu kennen, muss ich voraus schicken, dass der Typ an diesem Abend ein wahres Wunder vollbracht hat. Dieser wahnsinnige Meister der Regler liess die Band vor gut 150 Fans (!!!) an diesem gewöhnlichen Montagabend und eine Woche vor Heiligabend sowas von abrocken, dass sich der Mörtel im Gewölbe aufzulösen begann! Bereits mit dem knalligen Opener «Midnight Flyer» waren die Fans Feuer und Flamme und lechzten nach jedem weiteren Song! Die präsentierte Mischung aus allen drei Alben war, mit leichter Bevorzugung des neuen Drehers, sehr ausgewogen. Frontmann Björn Strid brauchte allerdings etwas Anwärmzeit für seine zu Beginn hörbar kratzigen Stimmbänder, doch spätestens bei «Stiletto» war davon kaum mehr was übrig. Unterstützt durch die in dieser Form zwingend bereichernden Backing Vocals der beiden „Stewardessen“ Anna Brygärd und Anna-Mia Bonde schossen The Night Flight Orchestra buchstäblich den Vogel ab und spielten ohne Support-Act nicht nur nicht in meinen Augen und Ohren schlichtweg das Konzert des Jahres!

Getragen vom für diese Verhältnisse hammermässigen Sound folgte ein Highlight nach dem anderen, inklusive fluffigen Perkussions-Einlagen. Obwohl die Saitenfraktion von der Beweglichkeit her platzbedingt ziemlich eingeschränkt war, performte und poste man dennoch mit allem, was eben ging. Ein besonderer Leckerbissen war dabei die coole Disco-Nummer «Domino», die live noch geiler als auf dem Album rüber kam. Die beiden Vorgänger-Alben «Skyline Whispers» (2015) und «Internal Affairs» (2012) wurden mit je vier Songs bedacht, die ziemlich schlüssig aufzeigten, auf welcher musikalischen, respektive kompositorischen Reise die begeisternde Güte von «Amber Galactic» erreicht wurde. Besonders zu erwähnen ist ausserdem noch das zu Beginn leicht jazzig inspirierte «The Heather Reports», das sich während der zehn Minuten Spielzeit (!) erst mit unüberhörbaren Vibes von Deep Purple der 80er/90er schmückt, um hinten raus, nochmals jazzig verspielt, an den grandiosen, schon fast epischen Schluss des Songs zu gelangen, was für ein Meisterwerk! Damit war der Hauptset leider schon zu Ende, aber das laustarke Publikum sorgte innert Kürze für insgesamt drei Zugaben, wovon «Josephine» ursprünglich nicht auf der Setliste stand. Mit «West Ruth Ave» endete das persönliche Konzert des Jahres überaus stimmig, und nachdem der letzte Ton verklungen war, gelangten eigentlich fast alle Fans, inklusive einzelner Black Metaller (!) zum gleichen Fazit: The Night Flight Orchestra? Schlicht Weltklasse! Die darob sichtlich erfreuten MusikerInnen mischten sich anschliessend locker unter die Fans und mussten einige Tonträger, darunter jede Menge Vinyl, visieren. Im lockeren Gespräch mit allen Bandmembers war unter anderem zu erfahren, dass Gitarrist David Andersson, wenn er nicht auf der Bühne steht oder Songs schreibt, beruflich praktizierender Arzt in einem Spital ist! Soll einer noch sagen, dass Akademiker unmusikalisch seien.

Setliste: «Midnight Flyer» - «California Morning» - «Stiletto» - «Star Of Rio» - «Domino» - «Transatlantic Blues» - «Montreal Midnight Supply» - «Something Mysterious» - «Sail On» - «Gemini» - «The Heather Reports» -- «Living For The Nighttime» - «Josephine» - «West Ruth Ave».